Scores/Scapes/Songs
Complex #1: Lim x->0 f(x)
Performance/Recording/Soundinstallation
Das intermediale Happening Scores/Scapes/Songs sucht im Offenbacher Aaarbeitsamt nach verschiedenen Ausformungen und Erscheinungsweisen von Sound, nach seinen Klang-Körpern, nach den Orten, wo er sich materialisiert, wo er Musik wird und wo er subjektiviert, indem er sich zu hören gibt. Der titelgebenden Liste folgend, die selbst als verbindende und trennende Struktur der Veranstaltung dient, werden in Anklängen an Fluxus vor allem Aufzeichnungen und Medien, Orte und Kontexte sowie kulturelle Formen des Klangs verhandelt. Dabei verortet sich dieses gespenstische Phänomen grundsätzlich im Dazwischen, materiell doch amorph, schon
vor uns da, auch nach uns noch zu hören. In der Performance lim x→0 f (x) rückt das Schlagzeug als Hervorbringer von Klang in den Fokus und wird performativ seiner Selbstverständlichkeit entledigt: Wie viel Schlag macht ein Zeug und welches Zeug taugt zum Schlag? Welche Elemente lassen sich hinzufügen oder weg nehmen? Was qualifiziert ein Objekt zur Trommel? Anstelle einer Schlagzeugperformance
verformen NoNo das Schlagzeug selbst, zweckentfremden, zerreißen seine Organisation und destabilisieren stattdessen den Prozess der Hervorbringung eines Grooves. Von der Performance bleibt eine Spur – als Soundinstallation – das ganze Wochenende über hörbar, die
den Prozess ihrer Entstehung, ihr Script, ihre Choreographie lesbar macht.
Die VR-Arbeit Heavy Stargazing (2024, 56 min) untersucht die Rolle des Klangs in der Erzeugung von (persönlichen) Erinnerungsräumen. Während der Pandemie in Ganz’ Heimat entstandene Skizzen in Bild und Ton evozieren eine virtuelle Landschaft, idyllisch und rau, bedrohlich, unheimlich, vertraut und verträumt. Die Bilder inszenieren die Veränderbarkeit dieser Umwelt, während die Musik sie affektiv verortet: ein Spaziergang durch flimmernde Soundscapes des Unbewussten, den die Klangspur kartographiert. Ursprünglich kamen die Erinnerungsbruchstücke von anderswo, räumlich wie zeitlich, und das Persönliche, Subjektive, Abgeschlossene ihrer Herkunft wird fragwürdig. Die intimen Aufnahmen werden wieder zum Material und öffnen sich auf potentiell neue Kontexte, andere Assoziationen. Einige im Raum gehängte Stills aus der Arbeit machen die klare Trennung zwischen jenem anderen Ort der Erinnerung und dem Ort ihrer Ausstellung durchlässig. Im Zusammenhang dieser verschiedenen Medialitäten erklingt eine weitere Ausformung des Sounds, sicherlich die (pop)kulturell differenzierteste.
Unter seinem Alias Lazerhaze veröffentlicht Ganz mit Gletscher seine zweite Single in diesem Jahr. Die hierfür beinahe unumgänglichen Marketing-Mechanismen und die Einbettung von Musikproduktion in technoökonomische Logiken werden in ambivalenter Weise durch die Integration von Merchandise in den Ausstellungsraum dar- und ausgestellt. Der prekäre Status dieser Objekte zwischen Ware und künstlerischem Artefakt stabilisiert sich lediglich durch ihre Gebundenheit an eine spezifische und singuläre Subjektivität. So wird der Betrachtung verschiedener Materialitäten von Sound eine weitere Facette hinzugefügt: diejenige des Musikers, seines Körpers, seiner Spektakularisierung im Umfeld von Social Media. Das Oszillieren des Klangs zwischen diesen Medialitäten lässt den klangerzeugenden Körper überall als Einsatz von Ganz’ Praxis erkennbar werden, spricht ihm jedoch seinen ursprünglichen Status ab und verweist gleichzeitig auf seinVerschwinden im Digitalen.
Am Sonntag wird zusätzlich die filmische Dokumentation der Arbeit א,α,A/א,Ω,O/Requiem Material/St. Michael (2022) zu sehen sein. Die hier wie dort im Raum stehende Frage desrituellen Zusammenkommens inspirierte außerdem das kollaborative LaaazerhazeXAaarbeitsamt Ritualbox Multiple mit Beiträgen von zehn befreundetenKünstler*innen.
Luca Ganz, geboren 1996 in Mainz, ist Theologe, Performancekünstler und Musiker. Er lebt und arbeitet in Offenbach am Main.
(Paul Koloseus)
Complex #2: Heavy Stargazing
VR-Video, Cassette, Photoprint (Acryl+Alu-Dibond)
Complex #3: Gletscher
Digital Single Release, Merch Drop, Social Unlock
Fotos: Nelly Habelt
Video: Oskar Lohse